Ein Würstchen vom "Wärschtlamoo"

Ein Würstchen vom "Wärschtlamoo"
Bierstadt, Textilstadt, Filmstadt: Ein Besuch im fränkischen Hof

(Gießener Allgemeine, 29. November 2002)

"Mudder, iech mooch a Boar Wärschtla", quängelt das kleine Mädchen und zerrt zu einem seltsamen Verkaufsstand: ein Mann in Lederjacke mit Feldmütze, weißer Schürze, einem Henkelkorb ein trapezförmiger mit Holzkohle beheizter Kupferkessel. Daraus fischt er nun ein Paar Wiener Würstchen, legt sie ins halb aufgeschnittene Brötchen und streicht einen Linie Senf darüber. "Bittschee!" Der Mann ist das lebende Wahrzeichen von Hof an der Saale: der Wärschtlamo, auf Deutsch: Würstchenmann.
Hof – das liegt dort, "wo die Hasen Hosen und die Hosen Husen haaßen": im nördlichsten Zipfel von Oberfranken. Der für Fremde schwer verständliche Dialekt ist eine rabiate Variante des Fränkischen. Zu DDR-Zeiten galt die Stadt im Winkel von Fichtelgebirge, Frankenwald und Erzgebirge den Berlinern als erste westdeutsche Pause nach der öden Transitstrecke.
Wegen der Abgelegenheit von München schimpften strafversetzte Beamte im 19. Jahrhundert von "Bayerisch-Sibirien". Tatsächlich liegen auch die Temperaturen hier auf über 600 Metern meist fünf Grad tiefer als im nahen Bayreuth. Der touristische Slogan "In Bayern ganz oben", meint aber nicht nur die geographische Lage, sondern spricht für Besonderheiten. So schloss Hof bereits 1954 Städtepartnerschaften mit Ogden im US-Staat Utah, einer der Austragungsorte der letzten Winterolympiade.
Für international interessierte Cineasten jedoch sind die "Hofer Filmtage" seit 35 Jahren (vier Tage im Oktober) der Nabel der Welt. Alle bedeutenden Regisseure – von Roman Polanski bis Steven Spielberg – kennen die Saalestadt. Trotzdem brauchte es noch den ersten Oktober 1989, um die drei Buchstaben in die Schlagzeilen der Weltpresse zu rücken. An jenem Tag und diesem Bahnhof erreichten Tausende von DDR-Flüchtlingen nach dreimonatigem Ausharren in der Prager Botschaft endlich die Freiheit.
Noch einmal kochte in Hof die Luft, dieses Mal unter den Abgasen der Zweitakter, als selbst Rostocker die weite Reise antraten, weil es hier 40 Mark Begrüßungsgeld zusätzlich gab. Inzwischen hat sich Hof gelüftet und gibt sich stolz als Mitte Europas. Obwohl die nach der Wende aus dem Boden gestampften Bundesstraßen und erneuerten Autobahnverbindungen (A9, A70, A72) zwischen Hessen, Sachsen und Berlin schon wieder zum Vorbeirasen verführen, verspricht ein Besuch Vermehrung der Allgemeinbildung.
Mittelalterliches sucht man vergebens. Aus hygienischer und städtebaulicher Absicht brannte es häufig. Doch die Ludwigstraße – einst reine Biedermeierstraße – rettete ihre Erdgeschosse und damit die typischen Granit-Torbögen, teilweise so groß, dass Fuhrwerke durchfahren konnten.
Folgender Rundgang beginnt am Rathaus, ein gotisierter Renaissancebau aus dem 16. Jahrhundert, dessen Turm während der Dienstzeit bestiegen werden darf. Gleich vis a vis steht die gotische St. Michaeliskirche, die "großa Kerng" (große Kirche) mit Ursprung aus 1230, mehrfach zerstört, abgebrannt und wieder aufgebaut. [...]
Das äußerlich unscheinbare gotische Kirchlein aus dem 13. Jahrhundert überrascht im Inneren durch reiche künstlerische Barockausstattung. 90 üppig bemalte Felder der Kirchendecke zeigen Darstellungen aus dem Neuen und Alten Testament.
Über Graben, Fischergasse und Rähmberg kommt man zum Oberen Tor und durch die Fußgängerzone "Altstadt", in der sich jeden Juni internationale Stabhochspringer messen. Von der St. Marienkirche, erbaut vom Regensburger Dombaumeister Denzinger, sind es nur wenige Schritte den Lorenzsteig hinunter zur St. Lorenzkirche, im Ursprung romantisch aus staufischer Zeit, also um 1100.
Zurück zu Marienkirche und Oberes Tor begeht man nun den oberen Teil der Ludwigstraße, deren Fassaden mit Girlanden und Medaillons noch einige Zeichen des Biedermeier bewahrten.
Hof hing Jahrzehente am Tropf der Schulabgänger, die etwas werden wollten. Die einstige Bierstadt mit dreizehn Privatbrauereien – heute noch drei – schrumpfte von 70000 auf 50000.
Der Wegbruch der global operierenden Textilgruppe Hof führte zum Umdenken in eine Dienstleistungsstadt, die sich auf Handel, Logistik und Distribution konzentriert. Allerdings mit der Radikalkur für die defizitäre Schmidt-Bank, eine der letzten deutschen Privatbanken, versiegt auch die Quelle von Hofs wichtigstem Sponsor.
Weiter sehenswert: Stadtpark Theresienstein mit Botanischen, Geologischen und Zoologischen Garten, Fernwehpark mit Ortsschildern aus aller Welt.

von Ute Fischer